Marina Deluca - 15. Nov. 2022 - 3 Min. Lesezeit

PERSPEKTIVEN

Aktualisiert: 17. Sept. 2023

Was macht ein Beruf mit uns? Ist es ein Job oder eine Beruf-ung?!

Man erlebt verschiedene Stationen im Leben. Man wird nicht als Erotik-Coach geboren. Auch nicht als autofahrender Essenslieferant. Doch wie sehr erfüllt der Alltag uns in der Zeit, wo wir Geld gegen Zeit verdienen?

Ich sitze in einem kahl eingerichteten Pizzakurier-Lokal um die Ecke des Hotels, etwas außerhalb von Stuttgart. Sie bieten eine ungewöhnliche Mischung von den standardisierten Pizzen und Hot Million China Food an. Das leitende Pärchen kommt aus Indien. Der korpulente Kurier, welcher nonstop am Handy ein Rennautogame spielt, ist vermutlich Hebräer. Der andere Kurier ist irgendwo aus der Region „Tamam“, also irgendwo rund um Türkischstan 😉.

Alle so freundlich wie notwendig.

Die Pizza ist mäßig, aber warm. Nein heiß. Wie immer verbrenne ich mir fast den Gaumen. Immerhin diesmal nur ganz wenig. Ich werde es nie lernen…

Während ich die rauchenden Bissen schweigend esse, beobachte ich das Quartett und mache mir meine Gedanken. Auch ich war mal Pizzakurier.

Mein erster Job nach der Autoprüfung. Und nach dem ersten Autounfall. War nicht mein Letzter. Weder Job noch Unfall.

Stimmt, mein erster offizieller Auftrag als 7jährige war Tellerwäscherin in einem Restaurant. Ich brauchte einen Schemel, um überhaupt an den Wasserhahn zu kommen. Gewachsen bin ich. In die Höhe und auch in die Breite.

Seither hab ich viel gelernt. Was ich von damals mitnahm: dass ich an einem Abend als Erstklässlerin 50 Stutz für meine Arbeit verdiente. Und dass mein Trinkgeld einer begeisterten Dame, die im Restaurant speiste und mich abwaschen sah, mir 50,- Trinkgeld gab.

Ob die Teller wirklich sauber waren, weiß ich nicht mehr. Zum Glück musste ich die Industrie-Abwaschmaschine im Nachgang nicht sauber machen. Das musste ich knapp 14 Jahre später tun, als ich wiederum in einer heißen Küche mit Fettfilm auf dem Boden als Abwäscherin arbeitete. Der Stundenlohn war etwas gestiegen, aber nur marginal.

Jobs hatte ich viele.

Meine Mutter meinte einmal scherzhaft aber nicht sehr liebevoll, ich könnte ja eine alte Matratze aus dem Keller holen und in Zürich am Bahnhof anschaffen gehen. Sie spendiere mir die Kondome. Das wäre quasi ein Invest ihrerseits.


Ihr lautes Lachen schmerzte mich. Es war ihre Art, die Welt erträglicher zu machen.

Dass ich tatsächlich Jahre später Geld, sauberes, gutes Geld mit Berührungen verdienen würde, ahnte da niemand.

Heute biete ich keine erotischen Massagen mehr an. Aber der Gedanke von investieren blieb. Ich investiere auch. In mich, mit lernen.

Das wäre dem Kurier, welcher murmelnd die Arme auf dem runden Bauch abgestützt hatte, um am Handy rumzudaddeln, vielleicht nie in den Sinn gekommen. Mit lernen in sich zu investieren. Ich beobachte ihn, wie er auf Arbeit wartend immer mal wieder zwischen den Spielen Sprachnachrichten versendet. Bezahltes warten. „Wie damals als ich im Militär war“, denke ich. Hm, er könnte die Zeit nutzen. Er könnte lesen, Hörbücher anhören, Content-Podcasts lauschen, ein Businesskonzept schreiben. Oder zumindest seinen Lebensplan aufmalen. Das konnte ich nicht, als ich meine freiwilligen Diensttage ableistete. Aber ich träumte von meinem Leben nach den Tagen in Grün. Er freut sich über das nächste Level am Smartphone. Sei‘s ihm gegönnt.

Neben ihm der jüngere und schlankere Kurier. Seine bewegte Mimik verraten mir Leidenschaft. Die Augen sind wach, wenn er nicht nonstop auf den Bildschirm des Telefons schaut. Seine Stimme angenehm. Er hat eine Bewerbungsmappe neben sich liegen. Im Frühling will er sein Moped verkaufen, weil er es nicht mag und er sein Kind damit nicht transportieren kann. Der Dicke meint, er solle es umbauen, gehe dann schon. Der junge Vater dementiert in gebrochenem Deutsch. Nein, er kaufe sich im Frühling ein tolles Fahrrad. Ein richtiges! 


Das letzte Stück lasse ich übrig. Meine mehlbestäubten Hände klappen den Deckel der Pizzaschachtel zu. Als ich an der Tür bin, verabschiede ich mich. Die Tür schon halb hinter mir zugezogen, drehe ich mich nochmal um, und wünsche dem hoffnungsvollen „bol şans“. Ich wünsche es ihm von Herzen.

                              

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